51.
Warum beschäftige ich mich nicht mit Astrologie, dachte April bitter, während sie sich dem farblosen Ziegelgebäude in West L.A. näherten, in dem der Verlust von vierzig Millionen Dollar besiegelt werden sollte. Dann hätte sie wenigstens die Zukunft voraussagen können. Doch hier galt es, ein Bild des Schreckens zu zeichnen, kein Horoskop.
Bisher hatte April mit ihren Produktionen stets ein geschicktes Händchen gehabt. Gerade mit Neuverfilmungen kannte sie sich aus. Ebenso mit Spitzenstars. Nur mit einem Verlust von vierzig Millionen hatte sie keine Erfahrung. Für April hieß eine solche Niederlage, daß sie künftig zur Zielscheibe all jener werden würde, die ständig darauf herumhackten, daß sie nichts von der Marktlage verstand und als Frau höchstens für kleinere Aufträge taugte. Alle würden sich damit brüsten, das Desaster prophezeit zu haben.
April ließ sich in die zweite Etage bringen, wo das Gemetzel stattfinden sollte.
Was April erwartete, glich der Konfrontation zwischen den »Crips« und den »Bloods«, den schlimmsten Jugendbanden von Los Angeles. Keiner dieser Dummköpfe im Besprechungszimmer wußte eine Antwort, alle hatten Angst. Darum zogen sie sich auf eine Verteidigungslinie zurück. April seufzte.
Rauchschwaden zogen durch den Raum, der Kaffee in den Pappbechern wurde kalt. Alle schrien durcheinander, angeführt von Michael McLain.
Er attackierte April sofort mit unflätigen Anschuldigungen. Doch sie hörte daraus nur die nackte Angst. Darum wollte sie sich seine Verzweiflung zunutze machen.
»Hallo, meine Herren.« Sie nahm Platz. Seymore LeVine war den Tränen nahe. Sam senkte den Blick. Er schämte sich nicht wegen des hoffnungslos verdorbenen Films, sondern wegen seiner sexuellen Eskapaden. April kannte sich mit Schamgefühlen bei Männern aus. Als ob ein paar Samenergüsse hier oder da eine Rolle spielen, verglichen mit einem Vierzig-Millionen-Dollar-Berg von Scheiße, dachte sie böse.
»Wie steht es?« fragte sie.
»Wir sind am Ende«, erklärte Seymore tonlos.
»Wir sprachen gerade darüber, daß der geniale Regisseur einige hunderttausend Meter Film verdorben hat, um seiner Freundin ein Geschenk machen zu können«, giftete Michael. »Ich möchte hinzufügen: einer Freundin, die für manches gut sein mag, nur nicht für die Leinwand.«
»Man kann mit Michael einfach nicht arbeiten«, warf Sam ein. »Außerdem stört eine gewisse Leblosigkeit bei Jahne, jedenfalls streckenweise.«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach April. »Es geht nicht darum, daß oder warum der Film Scheiße ist, oder wer dafür verantwortlich gemacht werden sollte. Es geht darum, wie man ihn retten kann.« April war die Ruhe selbst, wie immer, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stand. Die schlimmste Zeit machte sie durch, bevor alles verloren war. Jetzt aber wußte sie, daß sie die Zügel in die Hand nehmen mußte. Das gab ihr Kraft.
»Wir müssen den Film retten«, wiederholte sie.
»Unmöglich«, urteilte Michael. Sam zuckte wie unter einem Schlag zusammen.
April seufzte. Sam glich einem gereizten Gaul: Die Augen weit aufgerissen, so daß das Weiße vorherrschte, bereit, im nächsten Augenblick davonzugaloppieren. Michael benahm sich unmöglich. Auch in seinen ausgeglichensten Momenten gehörte Michael nicht zu denen, die ein Problem zu lösen verstanden. Seymore fand grundsätzlich keine Lösungen, und ähnlich stand es mit den anderen Anwesenden.
Natürlich konnte man bei der Bearbeitung eines Films einiges ausbügeln: Die richtige Musik unterlegen, hier und da einen neuen Dialog hineinbringen. Wenn es hart auf hart kam, ließen sich einige Szenen nachdrehen, auch wenn das zusätzliche Kosten verursachte.
»Wir können das noch hinkriegen«, erklärte April aus diesen Überlegungen heraus.
»Ausgeschlossen!« behauptete Seymore.
»Wir sollten jetzt nicht überreagieren. Die Säuglingssterblichkeit in Kalkutta zu beseitigen ist unmöglich. Hier geht es darum, einen Film auf Vordermann zu bringen.« April stand auf und glättete die Lederhosen, die sie fast zweitausend Dollar gekostet hatten, sich aber trotzdem im Schritt unangenehm anfühlten.
»Bei der Säuglingssterblichkeit hätten wir vergleichsweise größere Erfolgschancen«, stöhnte Seymore, der wegen seiner stets pessimistischen Einstellung »Katastrophen-Seymore« genannt wurde.
»Vielen Dank für die allgemeine Unterstützung«, spottete April kalt. »Die Neuverfilmung eines Filmklassikers ergibt nur einen Sinn, wenn etwas Neues hinzukommt. Nehmen wir High Girl Friday oder Front Page. Als Hildy zur Frau wurde, kam bei der Neuverfilmung etwas hinzu.«
»Ja. Sex. Und Cary Grant. Wir haben nichts«, faßte Seymore deprimiert zusammen.
»Ihr habt mich«, warf Michael ein.
»Ich wiederhole: Wir haben nichts«, versteifte Seymore sich.
»Herrgott, Seymore, halten Sie den Mund!« schrie Michael. Er wandte sich aggressiv an Sam. »Was ist, Sie genialer Drehbuchautor und Regisseur?«
»Straffung würde helfen. Der Ablauf ist zu langsam. Und wenn wir einen neuen Blickwinkel für die Liebesgeschichte hätten...«
»Vergiß die Liebesgeschichte.« April erlebte einen gewaltigen Adrenalinstoß. Sie hatte solche Situationen schon erlebt. Doch jede war wieder ein wenig anders. Jedesmal fürchtete sie, es dieses Mal nicht schaffen zu können. Doch wie bei all den vorhergehenden Problemen spürte sie auch jetzt, daß die Lösung vor ihrer Nase lag. Sie mußte nur schlau genug sein. Sie durfte die Augen nicht verschließen und mußte den Mut aufbringen und die Kraft, den Gedanken auch in die Tat umzusetzen.
»Ich will die Tagesabzüge sehen. Jeden. Ich brauche jeden Schnitt, auch die, die nicht verwendet wurden. Jeden verdammten Millimeter Film will ich vorwärts und rückwärts sehen.«